Nachhaltigkeits-Handbuch

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03 In welcher Welt werden wir morgen leben?

Unser derzeitig gelebtes Entwicklungsmodell ist nicht nachhaltig: Es plündert die Ressourcen der Erde, verschmutzt die Umwelt, zerstört die Artenvielfalt und ist auf himmelschreiender Ungerechtigkeit gegründet. Es ist außerdem umso weniger nachhaltig, als es nur von einer kleinen Minderheit der Menschen gelebt wird und es vollkommen unmöglich ist, dieses Modell auf den Rest der Menschheit auszuweiten. Im Jahr 2050 wird die Weltbevölkerung wahrscheinlich 9,3 Milliarden Menschen umfassen. Wie können all diese Menschen ernährt werden, wie können all ihre Konsumwünsche erfüllt werden, wenn gleichzeitig die Ressourcen immer knapper werden und die Umweltverschmutzung immer mehr zunimmt?

Um der Zukunft gelassen entgegenblicken zu können, müssen wir uns daher einer dreifachen Herausforderung stellen. Wir müssen:

  • die Grundbedürfnisse von rund 7 Milliarden Menschen erfüllen und jedem Einzelnen ein menschenwürdiges Dasein ermöglichen,
  • ohne dabei die nicht erneuerbaren Ressourcen zu erschöpfen oder die Regeneration der erneuerbaren Ressourcen unmöglich zu machen,
  • ohne dabei der Umwelt zu sehr zu schaden; am besten, indem man ihren Zustand sogar verbessert, um den zukünftigen Generationen einen lebensfähigen Planeten zu hinterlassen.

Um diese Herausforderung zu bewältigen, müssen wir unseren Umgang mit den natürlichen Ressourcen verändern, neue Produktionsverfahren entwickeln und den Reichtum umverteilen. Das alles muss im Respekt für jeden Einzelnen geschehen. Kurz gesagt: Wir müssen eine neue Lebensweise erfinden und die Art und Weise unseres Daseins auf der Erde überdenken. Dazu benötigen wir all unsere Kreativität und unseren Einfallsreichtum und jeder kann auf seine ganz eigene Weise dazu beitragen.

Bei den Überlegungen, wie diese Herausforderung am besten zu stemmen ist, ist das Konzept der nachhaltigen Entwicklung entstanden.

I.
WAS IST NACHHALTIGE
ENTWICKLUNG?

In dem Bericht „Unsere gemeinsame Zukunft“ (auch Brundtland-Bericht genannt), der 1987 von den Vereinten Nationen in Auftrag gegeben wurde, wird das Konzept der nachhaltigen Entwicklung wie folgt beschrieben:

„Nachhaltige Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass zukünftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.“

> Brundtland-Bericht, 1987

Die Idee dahinter ist, die derzeitigen Produktions- und Konsummodelle durch neue, gerechtere und umweltbewusstere, d.h. nachhaltige Modelle zu ersetzen.

Die nachhaltige Entwicklung ist als eine Entwicklung zu verstehen, die gleichzeitig:

  • tragfähig für die Ökosysteme ist, in denen wir leben, das bedeutet sparsam im Verbrauch natürlicher Ressourcen und so sauber wie möglich,
  • lebensfähig und auf lange Sicht selbsterhaltend (autosuffisant) ist, das heißt basierend auf erneuerbaren Ressourcen und wirtschaftliches Wachstum mit vielen Arbeitsplätzen schaffend, insbesondere dort, wo die Grundbedürfnisse nicht erfüllt sind,
  • lebenswert ist für den einzelnen Menschen sowie für die Gemeinschaft, das bedeutet auf sozialen Zusammenhalt hin ausgerichtet sowie Zugang für alle zu einer hohen Lebensqualität.

Die nachhaltige Entwicklung ist ein Kompromiss zwischen drei grundlegenden Widersprüchen:

  • ein Kompromiss zwischen den Interessen der aktuellen Generation und denen der zukünftigen Generationen,
  • ein Nord-Süd Kompromiss zwischen den Industrieländern und den Entwicklungsländern,
  • ein Kompromiss zwischen den Bedürfnissen der Menschen und der Erhaltung der Ökosysteme (Lebensräume und Arten).

II.
URSPRUNG UNd ENTWICKLUNG
DES KONZEPTES

puceSeit 1972 wird sich die Welt langsam des Ungleichgewichts bewusst, das die Menschheit auf der Erde erzeugt. Eine Gruppe von Forschern und Wissenschaftlern, der „Club of Rome“, hat dazu den Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ (oder Meadows-Bericht1) veröffentlicht, der die Öffentlichkeit zum ersten Mal wachgerüttelt hat. Dieser Bericht stellt die unglaubliche Umweltverschmutzung an den Pranger, die durch den Massenkonsum verursacht wird. Zum ersten Mal seit zwei Jahrhunderten wird damit die Idee eines kontinuierlichen Wachstums in Frage gestellt.

Im gleichen Jahr findet in Stockholm die UNO-Weltkonferenz über die menschliche Umwelt statt. Bei diesem Gipfel werden eine Reihe Prinzipien für einen ökologisch verantwortungsvollen Umgang mit der Umwelt beschlossen.

Die „Stockholm-Erklärung” hat den Umweltschutz zu einem internationalen Thema erhoben und kennzeichnet den Beginn eines Dialoges zwischen den Industrieländern und den Entwicklungsländern über die Verbindungen zwischen Wirtschaftswachstum, Umweltverschmutzung und den Wohlstand der Völker weltweit.

In ihren Schlussfolgerungen bekräftigen die Vereinten Nationen sowie die Staats- und Regierungschefs, dass „der Mensch […] ein grundlegendes Recht auf Freiheit, Gleichheit und angemessene Lebensumstände [hat] in einer Umwelt, deren Qualität ein Leben in Würde und Wohlbefinden erlaubt.“

In den Jahren zwischen 1972 und 1987 kommt es zu einer Art Wettlauf zwischen der Verschlimmerung der weltweiten Umweltkrise und des gleichzeitig zunehmenden Umweltbewusstseins.

puceIm Jahr 1987 veröffentlichte die Weltkommission der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung (engl.: United Nations World Commission on Environment and Development, WCED) den so genannten Brundtland-Bericht, benannt nach der Präsidentin der Konferenz, der ehemaligen norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland, mit dem Titel „Unsere gemeinsame Zukunft“ (Our common Future)1. In diesem Bericht wird festgehalten, dass die schlimmsten Umweltprobleme auf der Erde hauptsächlich auf die große Armut im Süden sowie auf die nicht nachhaltigen Konsum- und Produktionsmuster im Norden zurückzuführen ist. Zum allerersten Mal haben sich damit die 22 Kommissare (von denen 12 aus Entwicklungsländern, 6 aus Industrieländern und 3 aus osteuropäischen Staaten stammten) einvernehmlich auf die wichtigsten Ursachen für die Probleme in der Welt verständigt.

„Die Erde ist ein Ganzes, aber die Welt ist es nicht. Wir alle sind für die Erhaltung unseres Lebens abhängig von unserer Biosphäre. Dennoch verfolgt jede Gemeinde, jedes Land Überleben und Wohlstand ohne Rücksicht auf andere. Einige wenige verbrauchen die Ressourcen der Erde in einer Geschwindigkeit; die nicht genug für zukünftige Generationen hinterlassen wird. Andere, und sie sind die Mehrheit; haben viel zu wenig und leben mit Hunger, Elend; Krankheit und frühem Tod.“

> „Unsere gemeinsame Zukunft“

puceDas Fazit des Brundtland-Berichts ist, dass ein neues Entwicklungsmodell gefunden werden muss, eines das nicht die zukünftigen Generationen bestraft. Außerdem definiert er das Konzept der nachhaltigen Entwicklung.

„Dauerhafte Entwicklung will die Bedürfnisse und Ziele der Gegenwart verwirklichen, ohne die Fähigkeit zu verlieren; diese auch in der Zukunft zu verfolgen. Es geht nicht um ein Ende des wirtschaftlichen Wachstums sondern darum anzuerkennen, dass die Probleme von Armut und Unterentwicklung nur gelöst werden können in einer Ära des Wachstums, in der die Entwicklungsländer eine entschiedene Rolle spielen und Erfolge erzielen.“

> „Unsere gemeinsame Zukunft“

Einziger Wermutstropfen des Brundtland-Berichtes ist, dass es den Kommissaren unmöglich erscheint, nachhaltige Entwicklung und Wirtschaftswachstum voneinander zu trennen, obwohl es genau dieses Wachstum ist, das dem Planeten schadet, das die nicht erneuerbaren Ressourcen verbrennt und verschwendet und die Ökosysteme verschmutzt, und dies nur zum Nutzen eines kleinen Teils der Menschheit.

puceIm Jahr 1992, 20 Jahre nach Stockholm, findet eine weitere internationale Konferenz statt: Der Weltgipfel von Rio. Dieser Gipfel, bei dem circa 4.000 offizielle Vertreter aus 173 Ländern zusammenkommen, wird vor Ort (und das ist eine absolute Premiere!) von rund 40.000 Vertretern von Bürgerbewegungen aus der ganzen Welt verfolgt.

Bei diesem Gipfel wird die Wirtschaft enger mit der Umwelt und der Entwicklung der vergessenen Länder verbunden.

puceIm Jahr 2002 findet in Johannesburg in Südafrika der Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung statt. Zehn Jahre nach Rio setzen sich die Staaten erneut zusammen, um Bilanz zu ziehen über die erreichten Fortschritte bei der nachhaltigen Entwicklung. Allerdings fällt diese Bilanz nicht sehr positiv aus, zu wenig wurde bisher getan: sowohl auf Seiten gemeinsamer Aktionen der Länder (zahlreiche Kriege und Konflikte bringen noch immer Tod und Zerstörung) als auch bezüglich der Umsetzung der lokalen Agenden 21 in den einzelnen Ländern. Die Situation ist alles andere als rosig und die Kennzahlen zum Zustand des Planeten und zu den Lebensbedingungen fallen rapide ab.

Zum Abschluss des Rio-Gipfels verabschieden die 173 teilnehmenden Nationen die folgenden Texte:

  • Die Rio-Erklärung über Umwelt und Entwicklung. Sie formuliert 27 Grundsätze für eine nachhaltige Entwicklung, die festlegen, wie Aktionen und Maßnahmen durchgeführt werden sollen, und auf allen Gesellschaftsebenen bei der Entscheidungsfindung helfen.
  • Die Agenda 21. Sie besteht aus einem riesigen Maßnahmenkatalog, der im 21. Jahrhundert weltweit umgesetzt werden müsste, um eine nachhaltige Entwicklung zu erreichen. Die Maßnahmen sind in 40 Kapiteln zusammengefasst und betreffen alle möglichen Bereiche: Internationale Zusammenarbeit, Armutsbekämpfung, Änderung des Konsumverhaltens, Gesundheitsschutz und -förderung, Bekämpfung der Entwaldung, Partizipation von Kindern, Jugendlichen, Frauen usw. Die Unterzeichnerstaaten verpflichten sich, die Ideen der Agenda 21 national auf allen Ebenen in der so genannten Lokalen Agenda 21 umzusetzen.
  • Die Konvention zum Schutz der biologischen Vielfalt soll die Arten, ihr Habitat und ihr Erbgut schützen.
  • Die Konvention zur Bekämpfung der Wüstenbildung, die gegen die Trockenheit und ihre Folgen insbesondere in Afrika ankämpft.
  • Die Waldgrundsatzerklärung, deren Ziel die Einrichtung eines Systems zur nachhaltigen Waldbewirtschaftung ist.
  • Die Klimarahmenkonvention, dessen Ziel die Verringerung des Treibhausgasausstoßes ist. Auf diesem Text basiert auch das berühmte „Kyoto-Protokoll“, das 1997 unterzeichnet wurde und 2005 in Kraft trat. In diesem verpflichteten sich die Unterzeichnerstaaten zum ersten Mal, ihren Ausstoß an Treibhausgasen zu verringern.
Mehr Infos ?

> SIEHE die vollständige Liste der 27 Grundsätze im INFOBLATT (in Band 4):
Die Erklärung von Rio

 

In Belgien :

Am 5. Mai 1997 hat die belgische Regierung ihr eigenes Gesetz zur nachhaltigen Entwicklung erlassen, das besagt, dass die „Durchführung [der nachhaltigen Entwicklung] einen Änderungsprozess erforderlich macht, durch den die Nutzung der Ressourcen, der Verwendungszweck der Investitionen, die Ausrichtung der technologischen Entwicklung und die institutionellen Strukturen sowohl den heutigen als auch den künftigen Bedürfnissen angepasst werden.”
Am 20. Juli 2000 hat der Ministerrat dem Föderalen Plan zur nachhaltigen Entwicklung zugestimmt, der die Maßnahmen festlegt, die auf föderaler Ebene zur Erreichung der Ziele der nachhaltigen Entwicklung umzusetzen sind und die politischen Leitlinien festlegt, die die Regierung umsetzen möchte.
In Belgien obliegen zahlreiche Kompetenzen den Regionen (z.B. Umweltschutz, Abfall- und Wasserwirtschaft). Deshalb hat jede Region (Wallonische Region, Flandern und Brüssel) ihren eigenen Plan zur nachhaltigen Entwicklung entwickelt.

puceIm Jahr 2002 findet in Johannesburg in Südafrika der Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung statt. Zehn Jahre nach Rio setzen sich die Staaten erneut zusammen, um Bilanz zu ziehen über die erreichten Fortschritte bei der nachhaltigen Entwicklung. Allerdings fällt diese Bilanz nicht sehr positiv aus, zu wenig wurde bisher getan: sowohl auf Seiten gemeinsamer Aktionen der Länder (zahlreiche Kriege und Konflikte bringen noch immer Tod und Zerstörung) als auch bezüglich der Umsetzung der lokalen Agenden 21 in den einzelnen Ländern. Die Situation ist alles andere als rosig und die Kennzahlen zum Zustand des Planeten und zu den Lebensbedingungen fallen rapide ab.

III.
DIE 3 SÄULEN
DER NACHHALTIGEN ENTWICKLUNG

 

Die nachhaltige Entwicklung beruht auf dem Zusammenspiel von drei Dimensionen des menschlichen Lebens, die als Säulen bezeichnet werden: Wirtschaft, Soziales und Umwelt. Um nachhaltig zu sein, muss die zukünftige Entwicklung der Menschheit:

  • sozial gerecht sein, das bedeutet, dass sie die Bedürfnisse von Millionen Menschen nicht außer Acht lässt (weder heute, noch morgen),
  • wirtschaftlich tragfähig sein, das bedeutet, dass sie stattfinden kann, ohne die Produktion der Güter zu ersticken, die zur Befriedigung der Grundbedürfnisse aller Menschen benötigt werden (heute und morgen),
  • umweltverträglich sein, das bedeutet, dass sie stattfindet, ohne den Planeten in einen verwüsteten und geplünderten Mülleimer zu verwandeln.

Die nachhaltige Entwicklung kann also schematisch folgendermaßen dargestellt werden:

Die nachhaltige Entwicklung lädt alle Verantwortlichen – die Regierungen genauso wie alle Bürger der Welt – zum Umdenken ein. Von nun an, wenn wir Handlungen vornehmen oder Entscheidungen treffen, müssen wir darauf achten, dass dabei die drei Säulen gleichermaßen berücksichtigt werden. Nur wenn eine Handlung oder eine Entscheidung das Gleichgewicht zwischen diesen drei Säulen berücksichtigt, kann sie als NACHHALTIG betrachtet werden.

IV.
NACHhALTIGE ENTWICKLUNG:
DREI SÄULEN SIND SCHÖN UND GUT,
ABER WAS IST DER MOTOR?

In der oben abgebildeten Grafik fehlen Elemente aus der Agenda 21 wie beispielsweise die Betonung der Demokratie und Partizipation der Bevölkerung (und damit einhergehend deren Bildung und Information) sowie der Respekt und die Förderung der Menschenrechte und der Kulturen.
Denn neben der Schönheit der Artenvielfalt auf der Erde gibt es auch die einzigartige Vielfalt der Kulturen, die der Mensch entwickelt hat.
Es gilt also, die Bemühungen um die Zukunft des Planeten und der Menschheit in die Hände der Bürger dieser Welt zu legen. Denn sie sind der Motor!
Damit man dieses Ziel stets vor Augen hat, schlagen wir vor, die Grafik entsprechend anzupassen, so dass auch diese Dimension enthalten ist.

 

Die Frage, die wir uns stellen müssen, lautet:
Wie können wir aus der nachhaltigen Entwicklung ein Werkzeug machen, das die Menschheit heute und in Zukunft voranbringt?