Nachhaltigkeits-Handbuch

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DIE FAKTOR-10-STRATEGIE
UND DER „ÖKOLOGISCHE RUCKSACK“

I.
Die Faktor-10-Strategie

Im Jahr 1997 hat sich die Generalversammlung der Vereinten Nationen über die Prüfung und Bewertung der Umsetzung der Agenda 21 mit der Frage befasst, wie die Verbrauchs- und Produktionsgewohnheiten geändert werden können. Das Ergebnis dieser Überlegungen war unmissverständlich: Wir müssen unseren Ressoucenverbrauch drastisch senken, um „allen Menschen einen angemessenen Lebensstandard zu bieten, ohne die Ressourcen unseres Planeten auszuschöpfen“.

Die UNO hat daraufhin empfohlen, sich mit den bestehenden Studien zu befassen, in denen für unsere Gesellschaften ein effizienterer Umgang mit den natürlichen Ressourcen vorgeschlagen wird. Dabei verweist sie insbesondere auf die Strategien des „Faktors 4“ oder des „Faktors 10“. Bei beiden Theorien, die in den Jahren 1995 entstanden sind, geht man davon aus, dass der weltweite Verbrauch natürlicher Ressourcen mindestens um die Hälfte reduziert werden muss, um für jeden Erdbewohner eine nachhaltige menschliche Entwicklung bieten zu können.

Beide Konzepte zielen auf eine Reduzierung unseres Verbrauchs durch effizientere Ressourcen ab. Das bedeutet, dass für die Herstellung eines Guts oder einer Dienstleistung (für ein bestimmtes Bedürfnis) 4 bis 10 Mal weniger Ressourcen verbraucht werden könnten.

Die Faktor-4-Strategie:

Der Strategie des „Faktors vier“ von E.U. von Weizsäcker und seinen Kollegen des Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie in Deutschland zufolge müsste der Verbrauch natürlicher Ressourcen (insbesondere die Energie und die Rohstoffe) im Vergleich zum aktuellen Stand durch vier geteilt werden. Dadurch würde der Lebensstandard verdoppelt und gleichzeitig der Druck auf die Umwelt und die Ressourcen halbiert werden können. Ihr Leitsatz lautet „Doppelter Wohlstand – halbierter Naturverbrauch“.

Die Faktor-10-Strategie:

Für Friedrich Schmidt-Bleek ist der Faktor 4 nicht genug. Er erklärt, dass der Verbrauch pro Kopf in den entwickelten Ländern fünf Mal höher liegt als in den Entwicklungsländern. Weniger als 20% der Menschheit verbrauchen heute über 80% der natürlichen Ressourcen. Deshalb ist es die Aufgabe der entwickelten Länder, die größeren Anstrengungen zu unternehmen. Seiner Meinung nach müsste der Verbrauch natürlicher Ressourcen in den Industrieländern mindestens durch 10 geteilt werden. Ansonsten bleibt kein ausreichender Handlungsspielraum, damit die Entwicklungsländer mit der nachhaltigen Entwicklung beginnen können.

Die UNO möchte beide Strategien vereinen: die Produktivität der Ressourcen in den kommenden 20 bis 30 Jahren in den Industriestaaten vervierfachen (da sie mit dem guten Beispiel vorangehen müssen) und langfristig verzehnfachen.

Wie können wir das erreichen?

Schätzungen belegen, dass heute mit jedem Kilo Industrieprodukt etwa 30 Kilo verbrauchte natürliche Ressourcen einhergehen und dass weniger als 10% der aus der Natur entnommenen Ressourcen für nützliche Produkte verwendet werden. Um die Verschwendung von diesen 90% Rohstoffen zu vermeiden, müssen wir die Wirksamkeit steigern, mit der wir diese Ressourcen verwenden. Die Strategien des „Faktors 4“ und des „Faktors 10“ greifen auf zwei sich ergänzende Ansätze zurück: die Menge der verwendeten Ressourcen senken und die Produktivität der Ressourcen steigern.

  • Das Volumen der verwendeten Ressourcen senken, indem unsere Wirtschaft entmaterialisiert wird.

Überall da, wo es möglich ist, sollen Produkte durch Dienstleistungen ersetzt werden. Die entmaterialisierten Unternehmen bieten ihren Kunden Dienstleistungen anstelle von Verbrauchsgütern an, um auf die gleichen Bedürfnisse zu antworten.

Beispiel der Entmaterialisierung: saubere Wäsche
Als Verbraucher kaufe ich eine Waschmaschine, um einem Bedarf zu entsprechen: saubere Wäsche haben. Was mich interessiert, ist aber nicht das Produkt an sich (die Waschmaschine), sondern das Ergebnis (saubere Wäsche). Anstatt nun jedem Haushalt eine Waschmaschine zu verkaufen, wie das bisher der Fall ist, wird der Waschmaschinenhersteller in einem entmaterialisierten Unternehmen vielmehr eine Dienstleistung verkaufen: die Wäsche waschen. Das Ergebnis für den Verbraucher ist das gleiche (seine Wäsche ist sauber). Da aber nicht mehr in jedem Haushalt eine Waschmaschine steht, werden weniger Waschmaschinen hergestellt. Dadurch werden weniger Ressourcen für ihre Herstellung verbraucht. Außerdem wird es im Interesse des Herstellers sein, hochwertige Waschmaschinen herzustellen, um diese nicht zu oft reparieren oder ersetzen zu müssen.

  • Die Ressourcen wirksamer einsetzen.

Einerseits geht es darum, weniger Ressourcen für die Herstellung eines Produkts zu verwenden. In dem Fall spricht man von Ökoeffizienz. Bei dieser Managementphilosophie geht es darum, aus weniger mehr zu machen, indem bei jeder Etappe des Lebenszyklus eines Produkts oder einer Dienstleistung die ökologischen Auswirkungen und der Ressourcenverbrauch verringert werden. Diese Methode erlaubt es, Güter und Dienstleistungen herzustellen, die den menschlichen Bedürfnissen entsprechen, die Lebensqualität zu angemessenen Preisen erhöhen und die Kapazitäten unserer Erde schonen.

Mehr Infos?

Diese Faktor-10-Strategie beruht auf verschiedenen Instrumenten wie zum Beispiel die Lebenszyklusanalyse, das Ökodesign oder auch der „ökologische Rucksack“.

Siehe folgende Infoblätter:

Mehr Infos?

> Die Veröffentlichung des Faktors 4: „Faktor 4, Bericht an den Club de Rome“, E.U. von Weizsäcker, A.B. Lovins und L.H Lovins, Verlag Terre Vivante, 1997.
> Die Webseite des Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie: www.wupperinst.org
> Die Webseite der Faktor-10-Strategie: www.factor10-institute.org
> Die Webseite des MIPS: www.mips-online.info

Beispiele über den besseren Einsatz von Ressourcen:

  • Man kann bestimmte Rohstoffe durch andere ersetzen, die bei der Herstellung weniger Ressourcen verbrauchen. In diesem Sinn können Aluminium- oder PVC-Fensterrahmen durch Holzrahmen ersetzt werden, weil PVC und Aluminium bei der komplexen Herstellung mehr Ressourcen verbrauchen.
  • Man kann die Abfallmenge verringern, indem Produktionsreste wieder in den Produktionsprozess eingeschleust werden.
  • Man kann neue Herstellungsverfahren entwickeln, die weniger Ressourcen verbrauchen.

Andererseits muss der Nutzen des Produkts erhöht werden. Man kann die Lebensdauer eines Produkts zum Beispiel verlängern, wenn es einfacher zu reparieren ist oder mehrere Funktionen hat. Ein Fotokopierer, der auch scannt, druckt und faxt, spart die Herstellung von drei zusätzlichen Geräten.

II.
DER ÖKOLOGISCHE
RUCKSACK

Für die Herstellung eines Großteils der Produkte und Güter, die wir verwenden, sind viel mehr natürliche Ressourcen notwendig gewesen, als ihr Gewicht erahnen lässt. So als würde jedes Produkt oder jeder Gegenstand, den wir verwenden, einen unsichtbaren Rucksack tragen, gefüllt mit allen Rohstoffen, die für seine Herstellung nötig waren. Diese unsichtbaren, aber sehr wohl vorhandenen Ressourcen hat der deutsche Forscher Friedrich Schmidt-Bleek unter dem Begriff „ökologischer Rucksack“ eines Produkts zusammengefasst.

Der „ökologische Rucksack“ misst das Gewicht der natürlichen Ressourcen, die erforderlich waren, um einen Rohstoff oder ein Fertigprodukt herzustellen. Er wird in Tonnen Ressourcen pro Tonne Produkt ausgedrückt. Er stellt das „Gewicht“ unseres Verbrauchs in der Natur dar.

Die Berechnung des ökologischen Rucksacks beruht auf dem MIPS-Indikator (Material Intensität pro Service Einheit).

Bei diesem Indikator handelt es sich um einen recht komplexen Ansatz, der für einen bestimmten Rohstoff die Mengen der verschiedenen Ressourcen festlegt, die für die Herstellung einer Tonne dieses Rohstoffs notwendig waren. Dabei werden 5 Kategorien natürlicher Ressourcen berücksichtigt:

  • Die nicht erneuerbaren Ressourcen (abiotische Ressourcen): Das sind die mineralen Rohstoffe (Mineralstoffe, Sand, …), die fossilen Brennstoffe (Kohle, Erdöl, Erdgas), der Erdaushub (Minenabgrabungen);
  • Die erneuerbaren Ressourcen (biotische Ressourcen): Das sind die verschiedenen Produkte aus der Biomasse (Landwirtschaft, Wälder, Ernte, Aufsammeln, Jagd);
  • Die Bodenverlagerung in der Land- und Forstwirtschaft (Pflügen, Erosion);
  • Der Verbrauch des Wassers, das von seinem natürlichen Flussbett umgeleitet wurde (Oberflächenwasser und Grundwasser);
  • Der Verbrauch der Luftim Fall von chemischen oder physischen Veränderungen.

Dieser Ansatz ist für die Forscher besonders interessant, die neue, ökologischere Materialien entwickeln, und für die Unternehmen, die sich mit dem Ökodesign ihrer Produkte befassen. Er wurde außerdem mit dem Projekt „MIPS for Kids“ (MIPS für Kinder) zugänglich gemacht, worin der Begriff des ökologischen Rucksacks Kindern von 8 Jahren erklärt wird, um sie bei ihren Kauf- und Verbrauchsentscheidungen zu lenken.