Nachhaltigkeits-Handbuch

2.3-inegalites

2.3 Eine Welt der Ungleichheiten

I.
DIE ENTWICKLUNGSUNTERSCHIEDE
IN DER WELT

Durch die Globalisierung ist die Mobilität der Waren, des Kapitals, der Informationen und der Personen unglaublich gestiegen. Nie zuvor hat die Menschheit über so viel Reichtum verfügt wie heute. Aber dieser Reichtum war auch nie zuvor so ungleich verteilt wie heute. Der Begriff Reichtum beinhaltet: wissenschaftliche Erkenntnisse, verfügbare Technik und Technologien, verfügbare Produktionskapazitäten und natürlich verfügbare materielle Güter.

1. Der Lebensstandard der Bevölkerung

In seinem jährlichen Weltbevölkerungsbericht unterscheidet der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) 3 Regionen:

  1. Zu den entwickelten Regionen gehören Nordamerika, Japan, Europa und Australien – Neuseeland. Im Jahr 2008 zählten die entwickelten Regionen zusammen 1,226 Milliarden Einwohner.
  2. Zu den Entwicklungsregionen gehören Afrika, Lateinamerika und die Karibik, Asien (mit Ausnahme von Japan), Melanesien, Mikronesien und Polynesien. Im Jahr 2008 zählten die Entwicklungsregionen zusammen 4,699 Milliarden Einwohner.
  3. Im Jahr 1971 haben die Vereinten Nationen außerdem die Kategorie der Least Developed Countries (LDC, deutsch: am wenigsten entwickelte Länder) geschaffen. Diese umfasst die Länder, die sozialökonomisch betrachtet am wenigsten entwickelt sind und die folgenden Kriterien erfüllen: ein geringes Bruttonationaleinkommen, ein niedriges soziales Entwicklungsniveau bei Merkmalen wie Gesundheit und Bildung sowie die Verwundbarkeit der Wirtschaft. Die LDC-Länder liegen hauptsächlich in Afrika, Asien und Ozeanien. Derzeit gehören zu dieser Kategorie 49 Länder, während es bei ihrer Schaffung 1971 noch 25 waren. Im Jahr 2008 zählten die am wenigsten entwickelten Länder zusammen 823 Millionen Einwohner..

Diesen 3 Gruppen wird häufig noch eine vierte hinzugefügt:

  • Schwellenländer: Hierbei handelt es sich um die Länder, die vor circa fünfzehn Jahren noch zu den Entwicklungsländern gehörten, die heute aber fast den Lebensstandard der Industrieländer erreicht haben. Das Wirtschaftswachstum in diesen Ländern liegt bei über 5% pro Jahr. Dank dieses hohen Wirtschaftswachstums lebt eine Minderheit der Bevölkerung in ähnlichen Verhältnissen wie die Einwohner der Industrieländer, aber die große Mehrheit der Bevölkerung lebt weiterhin in Armut. Zu diesen Ländern zählen unter anderem China, Indien, Brasilien, Südafrika, Marokko usw. Im Jahresbericht des UN-Bevölkerungsfonds werden diese Länder zu den Entwicklungsländern gezählt.

Um die verschiedenen Regionen zu bezeichnen werden auch andere Begriffe benutzt wie:

  • Nord – Süd Diese geografische Einteilung spiegelt jedoch nicht die ganze Wirklichkeit wider, da einige Entwicklungsländer auf der Nordhalbkugel liegen und einige Industrieländer auf der Südhalbkugel.
  • Reiche Länder – arme Länder Diese Begriffe basieren auf dem Durchschnittseinkommen eines Landes und spiegeln daher nicht die wirkliche Lebenssituation seiner Einwohner wider.
  • Lange Zeit wurde für die Gruppe der Entwicklungsländer auch der Begriff Dritte Welt benutzt. Heute findet diese Bezeichnung jedoch kaum noch Verwendung.

Im Laufe der Zeit kann sich die Zuordnung eines Landes zu einer Gruppe auch ändern. Einige ehemalige Entwicklungsländer (wie z.B. Südkorea) haben inzwischen den gleichen wirtschaftlichen Entwicklungsstand wie die reichsten Länder erreicht. Andere Länder hingegen (z.B. Argentinien, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein reiches Land war) wurden zurückgestuft.

2. Das Bevölkerungswachstum

Wir haben bereits gesehen, dass die Weltbevölkerung ständig wächst. Allerdings geschieht dieses Wachstum nicht überall auf der Erde gleich. Es ist je nach Länderkategorie unterschiedlich. In den Entwicklungsländern ist die Wachstumsrate sehr hoch, während sie in den Industrieländern stagniert.

So schätzte der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen in seinem Weltbevölkerungsbericht 2001, dass das gesamte demografische Wachstum, das bis zum Jahr 2050 erwartet wird, in den heutigen Entwicklungsländern stattfinden wird. Im Jahr 2050 werden diese Länder 85% der Weltbevölkerung stellen, während sich die Gesamtbevölkerung der Industrieländer bei rund 1,2 Milliarden Menschen halten wird

3. Die Einkommensverteilung

Das Einkommen in der Welt ist sehr ungleich verteilt. Laut dem Weltentwicklungsbericht 1992 (der sich auf Angaben aus dem Jahr 1989 bezieht) des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) verfügten die 20% Reichsten im Jahr 1989 über 82,7% des Welteinkommens, während die 20% Ärmsten nur über 1,4% der Welteinkünfte verfügten. Die folgende Grafik veranschaulicht diesen Graben.

Besonders besorgniserregend dabei ist, dass sich die Ungleichheit in der Verteilung der Reichtümer im Laufe der Zeit immer mehr verschärft hat. Im Jahr 1960 besaßen die 20% Reichsten 70,2% des Reichtums, während die 20% Ärmsten 2,3% besaßen.
Das bedeutet, dass die 20% Reichsten 1960 30 Mal reicher waren als die Ärmsten, während sie 1989 bereits 60 Mal reicher waren.
Man geht davon aus, dass sie 2005 86 Mal reicher waren.

Aber die Schere geht auch innerhalb ein- und desselben Landes immer weiter auseinander. In den reichen Ländern können die Arbeiter ohne Ausbildung nicht gegen die Konkurrenz aus dem Süden bestehen. Die Globalisierung ermöglicht die Ansiedlung von Produktionsstätten in sogenannten Niedriglohnländern und lässt damit die Arbeitslosigkeit in den nördlichen Ländern steigen.

Berücksichtigt man die sehr reichen Menschen in den armen Ländern und die sehr armen Menschen in den reichen Ländern, beträgt das Einkommen der 20% reichsten Menschen ungefähr 150 Mal so viel wie das der 20% ärmsten.

4. Wie wird der Wohlstand eines Landes gemessen?

Mehr Infos?

> Eine jährlich aktualisierte Liste des BIP pro Kopf jedes Landes findet man auf den folgenden Websites:

Jede dieser Organisationen hat jedoch ihre eigene Berechnungsmethode, deshalb variieren die Ergebnisse von einer Liste zur anderen.

Sehr häufig wird das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf als Indikator verwendet, um die Länder in Funktion ihrer wirtschaftlichen Aktivität einzustufen und den Entwicklungsgrad eines Landes zu messen.

Was ist das BIP?

Das BIP ist ein Indikator, der die wirtschaftliche Leistung eines Landes beziffert. Dabei wird der Gesamtwert aller Güter (Waren und Dienstleistungen) berücksichtigt, die innerhalb eines Jahres in einem Land hergestellt wurden.
Im Allgemeinen werden die Länder in Funktion ihres BIPs pro Kopf eingestuft, da das BIP geteilt durch die Anzahl Einwohner den Lebensstandard eines Landes widerspiegeln soll.

Heute wird dieser Indikator allerdings als zu einfach angesehen, da er nur die Wirtschaftsleistung eines Landes bewertet und keine Auskunft über das Wohl der Einwohner gibt. Die Lebensqualität einer Bevölkerung (und damit verbunden ihr Entwicklungsstand) hängt nicht allein von ihrem Einkommen ab, sondern auch davon, wie der Reichtum verteilt ist, vom Zugang zu Bildung, von ihrer Gesundheit, von der Umweltqualität und von den sozialen Beziehungen.

Außerdem erfasst das BIP weder die natürlichen Ressourcen eines Landes, noch die Umweltschäden, die durch deren Förderung entstehen. So steigert beispielsweise ein Land, das seinen jahrhundertealten Wald rodet, um das Holz zu verkaufen, sein BIP. Dabei produziert dieses Land jedoch nichts, es verhält sich vielmehr wie ein Unternehmen, das sein Geld allein damit verdient, die Lagerbestände der letzten Jahre zu verkaufen oder wie ein Haushalt, der seine Möbel verkauft um von diesem Geld zu leben.
Da das BIP als Messgröße unzulänglich erschien, wurde ein anderer Indikator entwickelt, um den Wohlstand der Einwohner zu ermitteln.

Im Jahr 1990 hat das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) den Human Development Index (HDI, deutsch: Indikator für die menschliche Entwicklung) entwickelt, der auch andere, nicht wirtschaftliche Faktoren wie die Gesundheitsfürsorge, die Ernährung und Hygiene (z.B. Lebenserwartung bei der Geburt), das Bildungsniveau der Bevölkerung (mittlere Dauer der Ausbildung und Alphabetisierungsrate) sowie den durchschnittlichen Lebensstandard in diesem Land erfasst.

Mehr Infos?

> Die Rangliste der nach ihrem HDI eingestuften Länder findet man unter: http://hdrstats.undp.org/en/indicators/82.html (Seite auf Englisch)

Alle zwei Jahre erstellt das UNDP ein Länderranking nach ihrem HDI. Dieser liegt zwischen 0 und 1. Je mehr er sich der 1 nähert, umso besser geht es dem Land.

In seinem Bericht aus dem Jahr 2009 hat das PNUD den HDI für 182 Länder errechnet.

  • Auf dem ersten Platz lag dabei Norwegen mit einem HDI von 0,971, einer Lebenserwartung bei Geburt von 80,5 Jahren, einer Schulbesuchsquote von 98,6% und einem jährlichen Pro-Kopf-Einkommen von 53.433 US$.
  • Den letzten Platz belegte Niger mit einem HDI von 0,340, einer Lebenserwartung bei Geburt von 50,8 Jahren, einer Schulbesuchsquote von 27,2% und einem jährlichen Pro-Kopf-Einkommen von 627 US$.
  • Belgien stand in der Liste an 17. Stelle mit einem HDI von 0,953, einer Lebenserwartung bei Geburt von 79,5 Jahren, einer Schulbesuchsquote von 94,3% und einem Pro-Kopf-Einkommen von 34.935 US$.

Im Folgenden findest du eine Liste der 10 ersten und 5 letzten Länder, links nach dem jährlichen BIP pro Kopf eingestuft und rechts nach dem HDI:

II.
ARM IST MAN
GLEICH MEHRMALS

Neben der finanziellen Armut haben die Entwicklungsländer auch mit einer Reihe anderer Probleme zu kämpfen, die die Lebensqualität ihrer Einwohner beeinträchtigen. Hier ein kleiner Überblick:

  • Die Missachtung der Menschenrechte. In der 1948 von den Vereinten Nationen verabschiedeten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte werden die Menschenrechte definiert. Der Verfassungstext gilt für alle Menschen, ohne jegliche Unterscheidung, und soll jeder Person gewisse Grundrechte, wie das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit sichern. Er verbietet Zwangsarbeit, Folter und politische Unterdrückung und verankert die Gleichheit zwischen Mann und Frau. Die Erklärung legt ebenfalls fest, dass jeder Einzelne „das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, auf gerechte und befriedigende Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz vor Arbeitslosigkeit“ besitzt. Im Prinzip soll die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte Gerechtigkeit gewährleisten. Leider werden die Menschenrechte in zahlreichen Ländern mit Füßen getreten, insbesondere in armen Ländern.
  • Der Gesundheitszustand der Menschen in den Entwicklungsländern ist häufig problematisch. Die Lebenserwartung in diesen Ländern ist meist gering und die Kindersterblichkeit hoch. Schwierige Lebensbedingungen wie der Mangel an Nahrungsmitteln und Trinkwasser, an Hygiene und Gesundheitserziehung sind häufig die Ursache für Krankheiten (AIDS, Malaria, Cholera, Tuberkulose…) und die Situation wird durch den fehlenden Zugang (meist aus finanziellen Gründen) zu medizinischer Versorgung und Medikamenten noch verschlimmert.
  • Soziokulturelle Lebensbedingungen. In vielen Entwicklungsländern stellen die soziokulturellen Lebensbedingungen ein Hindernis für die Entwicklung der Bevölkerung dar. Diese umfassen die kulturellen, religiösen und gesellschaftlichen Aspekte wie beispielsweise die ungleiche Behandlung von Mann und Frau, eine schwache soziale Mobilität, Kinderarbeit, mangelnde Bildung, eine hohe Analphabetenrate usw.
  • Politische Instabilität. Die armen Länder sind politisch häufig sehr instabil. Oft finden sich dort Korruption, Menschenrechtsverletzungen, Bürgerkriege, bewaffnete Konflikte mit Nachbarländern, Militärdiktaturen oder andere nicht demokratische Strukturen usw.
  • Landflucht. In der Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen ziehen viele Menschen vom Land in die Städte. Dadurch steigt der Druck sowohl auf die Städte als auch auf die Umwelt. Die Menschen, die ihr Dorf verlassen, um in die Stadt zu ziehen, finden dort oft noch schwierigere Lebensbedingungen und leben häufig in Elendsvierteln unter katastrophalen Bedingungen. Außerdem geht so nach und nach das landwirtschaftliche Know How verloren.
  • Die Arbeitsbedingungen. In den Entwicklungsländern gibt es häufig keinerlei soziale Sicherheit (Krankenversicherung, Rente, Arbeitslosenunterstützung usw.) und keinen Arbeitsschutz (garantierter Mindestlohn, feste Arbeitszeiten, Sicherheitsmaßnahmen, …). Viele Unternehmen und Arbeitgeber in den südlichen Ländern halten sich nicht an die Empfehlungen der Internationalen Arbeitsorganisation. In gewissen Ländern ist Kinderarbeit keine Seltenheit.
  • Umweltprobleme. Natürliche Ressourcen sind häufig die einzigen oder wichtigsten Reichtümer armer Länder und sie werden intensivst ausgeschöpft, ohne dabei ökologische und gesundheitliche Folgen für die Bevölkerung und die Umwelt zu bedenken. Für die Einwohner ist die Zerstörung ihrer Umwelt die einzige Möglichkeit zum Überleben. Deshalb sind die Entwicklungsländer häufig von fortschreitender Wüstenbildung, starker Luft- und Wasserverschmutzung, von einer explosionsartigen Ausbreitung der Städte usw. bedroht. Durch die menschlichen Aktivitäten verschlimmern sich die Ausmaße der Naturkatastrophen und die Armen haben unter den Folgen zu leiden.
Mehr Infos?

> Siehe INFOBLATT (in Band 4: Werkzeuge zur Nachhaltigkeit)
Die Arbeitsbedingungen

Einige Zahlen zum Nachdenken :

  • Anzahl der Kinder im Einschulungsalter, die nicht zur Schule gehen: 115 Millionen (von insgesamt 680 Millionen), davon sind 3/5 Mädchen.
  • Anzahl arbeitender Kinder weltweit : 218 Millionen
  • Anzahl erwachsener Analphabeten weltweit: 876 Millionen, davon sind 2/3 Frauen.
  • Anzahl Kinder, die jeden Tag an leicht zu heilenden Krankheiten sterben: 30.000.
  • Anzahl Frauen, die jedes Jahr an Komplikationen während der Schwangerschaft sterben: 500.000.
  • Anzahl Menschen mit HIV-Infektion: 42 Millionen, davon 70% in Schwarzafrika.
  • Lebenserwartung in Botswana: 65 Jahre im Jahr 2000, 31 Jahre im Jahr 2005.
  • Lebenserwartung in Simbabwe: 53 Jahre im Jahr 2000, 27 Jahre im Jahr 2005.
  • Anzahl Menschen, die jährlich an Malaria sterben: 1 Million, davon 900.000 in Afrika.
  • Anzahl Kinder unter 5 Jahren, die jährlich an Malaria sterben: 700.000.
  • Anzahl Menschen, die jährlich an Tuberkulose sterben: 2 Millionen.
  • Anzahl Menschen, die keinen direkten Zugang zu Trinkwasser haben: 1,1 Milliarden.
  • Anzahl Menschen, die ohne vernünftige sanitäre Infrastruktur leben: 2,4 Milliarden.
  • Anzahl Menschen, die jährlich an Durchfallerkrankungen sterben: 2,2 Millionen.
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> Siehe INFOBLATT (in Band 4: Werkzeuge zur Nachhaltigkeit)
Die Globalisierung verstehen